An jedem 3. Sonntag im Monat öffnet in der
Immanuelgemeinde der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) in
Kiel das Erzähl-Café. Mit diesem Angebot wendet sich die Gemeinde an „alle
Menschen, die am Wochenende nicht gern allein sind und Freude an Gesprächen,
Singen und Spielrunden haben“. Im Folgenden stellt Ruth Müller das Angebot
näher vor – wie es dazu kam, wie es vorbereitet und gestaltet wird, welche
Ziele es verfolgt, welche Entwicklung es genommen hat und welche Erfahrungen die
Verantwortlichen mit dem Erzähl-Café gemacht haben.
Wie kam es dazu?
Vorüberlegungen: Ein lebendiges Gemeindeleben und die
Unterhaltung und Pflege unseres Gemeindeanwesens können doch nicht unsere
einzigen Aufgaben als christliche Gemeinde sein. Können wir nicht auch etwas
für andere tun? Trotz mancher Anstrengungen in der Öffentlichkeitsarbeit ist
unsere Gemeinde im Stadtteil weitgehend unbekannt. Was könnten wir tun, unsere
Gemeinde den Menschen, die in unserem Umfeld wohnen, bekannt zu machen? An vielen
Tagen ist in unserem Gemeindezentrum nichts los. Wie schade! Dabei haben wir
ein herrliches Grundstück und schöne Gemeinderäume. Alleinlebende Menschen sind
am Sonntag besonders einsam. Unter der Woche gibt es viele Angebote, aber
sonntags findet fast nichts statt, was über das Alleinsein und die Ödnis des
Sonntagnachmittags hinweghilft. Könnten wir da nicht etwas anbieten?
Eine Idee wird
Wirklichkeit
Der Bericht in der „Koralle“ über das Erzähl-Café der
Wuppertaler Gemeinde, Anfang 2003, war dann der letzte Anstoß. Mit einem Team
von fünf Leuten, drei Frauen und zwei Männern, fingen wir an zu planen. Anfang
Januar 2004 wurden im Stadtteil in Läden, Praxen und öffentlichen Einrichtungen
Plakate aufgehängt und großzügig Werbekarten in die Briefkästen verteilt.
Am 18. Januar 2004 fand das erste Erzähl-Café statt. Es
kamen zwölf Personen. Immerhin! Wir waren froh, dass überhaupt jemand den Weg
zu uns gefunden hatte. Bis zum nächsten Erzähl-Café im Februar hatte es sich
schon herumgesprochen und die meisten Plätze (rund 20) waren besetzt. So
konnten die „Kieler Nachrichten“, die wir eingeladen hatten, einen anschaulichen
Artikel mit Foto veröffentlichen. Es zeigte sich aber auch, dass es nicht genügte, die Tische
schön zu decken, leckeren, selbstgebackenen Kuchen anzubieten und sich mit den
Gästen zu unterhalten. Ganz offensichtlich erhofften sich unsere Gäste noch
etwas anderes.
So hat sich im Laufe der Jahre folgender Ablauf entwickelt: Von
15 Uhr bis gegen 16 Uhr ist gemütliches Kaffeetrinken. Dann folgt ein kleines
Programm (Dauer zwischen 15 und 30 Minuten), wo wir in unterhaltsamer, lockerer
Form Interessantes, Heiteres oder auch Nachdenkliches zu unterschiedlichen
Themen vortragen. Manchmal gibt es kleine Musikbeiträge, gelegentlich auch ein
Thema mit Bildern. Wenn möglich, beziehen wir unsere Gäste auch aktiv mit ein,
zum Beispiel beim Vorlesen. Sehr beliebt ist das Singen. Etwa ab 16.30 Uhr ist
dann Zeit zum Spielen, wofür wir eine große Auswahl an Spielen bereitstellen.
Um 17.30 Uhr schließen wir mit einem Schlusslied.
Vorbereitung des
Nachmittags
Das Erzähl-Café findet am dritten Sonntag im Monat statt. Zwei
Wochen vor dem Termin liegt im Gemeindevorraum eine Liste aus, in die sich
einträgt, wer einen Kuchen backt und/oder zum Helfen da sein wird. Jeweils zwischen
sieben und zehn Helferinnen und Helfer werden gebraucht, um Kaffee zu kochen,
die Gäste zu begrüßen, sie zu bedienen, sich an den Tischen mit den Gästen zu
unterhalten und mit ihnen zu spielen. Am Samstag vor dem Erzähl-Café-Sonntag richten wir den
Gemeinderaum mit kleinen Tischgruppen, vielen Blumen und hübschen Servietten
einladend her. Die hausgebackenen Kuchen werden von Gemeindegliedern gespendet.
Für freiwillige Beiträge zur Deckung der Kosten gibt es eine Kaffeekasse.
Werbung und
Information
Um unser Sonntags-Café bekannt zu machen, hängen in den
Läden, Praxen und öffentlichen Einrichtungen (AWO, Rotes Kreuz, Bücherei usw.)
unseres Stadtteils Plakate und liegen Terminkarten aus. Beim Verteilen trafen
wir, entgegen unserer Befürchtungen, auf viel Entgegenkommen. „Wenn es von der
Kirche ist, gerne“, wurde gesagt, und: „Das ist prima, das ihr so etwas macht.
Viel Erfolg.“ In der Woche vor dem Erzähl-Café erscheint in den „Kieler
Nachrichten“ und dem „Kieler Express“ (einem kostenlosen Werbeblatt) sowie im
Stadtteilblättchen ein Hinweis. Immer vor dem ersten Termin Anfang des neuen Jahres
verteilen wir neue Plakate und Terminkarten und werden dann immer sehr
interessiert gefragt, wie es läuft.
Wie hat sich das
Erzähl-Café entwickelt?
Inzwischen ist das Erzähl-Café in unserem Stadtteil, zum
Teil auch darüber hinaus, eine bekannte Veranstaltung. Im Schnitt kommen etwa
18 bis 25 Gäste, meist ältere Menschen, naturgemäß mehr Frauen als Männer. Ein
großer Teil sind nun schon Stammgäste, die das Erzähl-Café fest im Terminplan
haben. Bis auf einzelne gehören sie nicht zu unserer Gemeinde, sondern meist zu
einer der landeskirchlichen Gemeinden in unserer Nachbarschaft. Durch guten
Kontakt zu ihnen und ihren Pastoren wird das Erzähl-Café nicht als
„Konkurrenzunternehmen“ angesehen.
Es kommen aber auch immer wieder neue Gäste, die die Plakate
gesehen oder den Hinweis in der Zeitung gelesen haben und gerne wissen möchten,
was sich dahinter verbirgt. Auf diese Weise haben viele Menschen etwas über
unsere Gemeinde erfahren.
Was bedeutet das
Erzähl-Café für unsere Gemeinde und welche Erfahrungen haben wir gemacht?
Durch das Erzähl-Café sind wir im Stadtteil als eine
evangelische Gemeinde bekannt geworden. Die, die zu uns kommen, haben sich inzwischen
davon überzeugt, dass wir keine Sekte sind, eine Sorge, die ganz offensichtlich
fast bei allen besteht, die zum ersten Mal kommen. Einige Gemeindeglieder, die
bisher noch kein rechtes Betätigungsfeld in der Gemeinde hatten, machen beim
Erzähl-Café mit und haben Freude an dieser Arbeit. Diejenigen, die beim
Erzähl-Café mitarbeiten, haben sich besser kennen gelernt und fühlen sich untereinander
und auch der Gemeinde mehr verbunden. Wir haben es besser gelernt, unbefangener
auf Fremde zuzugehen und uns auch auf ungewöhnliche oder schwierige Menschen
einzulassen. Zu unseren Gemeindefesten, speziell zu unserem Sommerfest, kommen
eine ganze Reihe Gäste des Erzähl-Café, und ein halbes Dutzend nehmen
regelmäßig am Seniorenkreis teil, – das ist ca. ein Drittel des Kreises und ein
Gewinn für alle, die dabei sind. Auch zu besonderen Gottesdiensten finden sich
einige unserer Gäste ein. Wir haben die Erfahrung gemacht, wie wichtig es ist,
dass man sich offen und ohne Vorurteile auf die Menschen einlässt und auch an
ihrem Ergehen Anteil nimmt. Es braucht eine längere Zeit des Kennenlernens, bis
sich Zutrauen und Vertrauen entwickeln können.
Probleme
Es hat sich aber auch gezeigt, dass einige Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter mit schwierigen Gästen nicht gut zurechtkommen. Sie fühlen sich
frustriert. Sie wünschen sich mehr Dank und Anerkennung von den Gästen. Nicht
alle Gemeindeglieder identifizieren sich mit dem Erzähl-Café. Sie fragen sich,
was die Gemeinde davon für einen Gewinn hat.
Was uns wichtig ist
Wir wollen im Erzähl-Café nicht missionieren, sondern wir hoffen, dass,
indem wir uns unvoreingenommen und mit Herzlichkeit den Menschen zuwenden,
etwas von Gottes Liebe zu uns Menschen durchscheint. Jeder der kommt, soll
spüren, dass er willkommen und wertgeschätzt ist.
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