Englischkurs | aus Görlitz | 12-2005


Weil er Bedarf in seiner Gemeinde und im Umfeld seiner Gemeinde festgestellt hatte, entschied sich Pfarrer Gert Kelter von der Heilig-Geist-Gemeinde der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) in Görlitz, einen Englischkurs anzubieten. Das Beispiel zeigt, wie in einer Gemeinde mit einem Bildungsangebot missionarische Akzente gesetzt werden können. Im Folgenden beschreibt Pfarrer Gert Kelter – einer entsprechenden Anfrage des Amtes für Gemeindedienst der SELK folgend – das Projekt ausführlich.


Ein Projekt ist eigentlich etwas, das man nach einer sorgfältigen Analyse plant, vorbereitet und dann umsetzt. So gesehen ist das Angebot eines Englischkurses für Anfänger, das in der Heilig-Geist-Gemeinde Görlitz im Herbst dieses Jahres [2005] angelaufen ist, eigentlich keines. Die Idee fiel mir zu, kam also eher zufällig, als ich von Gemeindegliedern hörte, wie sehr sie es bedauern, kein Englisch zu können. Einige hatten bereits Volkshochschulversuche unternommen, bei anderen scheiterte dies an den nicht unerheblichen Kursgebühren.

Die Idee, den eigenen Gemeindegliedern mit ein paar kurzweiligen Englischstunden etwas auf die Sprünge zu helfen, war also schnell geboren. Zum „Projekt“ wurde sie erst, als ich damit die Aufforderung an die Gemeinde verknüpfte, zu einem kostenlosen Englisch-Basiskurs in ihrem Freundes-, Kollegen- und Bekanntenkreis einzuladen.

Damit war ein niedrigschwelliges Gemeindeangebot geboren, das wir auch mit kleinen und bescheidenen Räumlichkeiten und wenig organisatorischem Aufwand in die Öffentlichkeit bringen konnten. Zur Unterstützung der Werbeanstrengungen unserer Gemeindeglieder stellte ich einige Handzettel mit allen entsprechenden Informationen zusammen.

Im Ergebnis fanden sich vier Gemeindeglieder, darunter auch solche, die sich bislang an Gottesdienst und Gemeindeveranstaltungen nicht beteiligten und weitere zehn Personen, die zum Bekanntenkreis von Gemeindegliedern gehören und nicht unserer Kirche und Gemeinde bzw. keiner Kirche angehören. Weitere Interessenten mussten bereits auf einen Folge-Kurs vertröstet werden.

Der Unterricht findet wöchentlich etwa eineinhalb Stunden statt. Er ähnelt (bewusst) im Aufbau unseren genuin kirchlichen Gemeindeveranstaltungen: So wird zum Beispiel zu Beginn gesungen. Zunächst nichts „Frommes“, sondern „God save the Queen“ (was ja auch nicht unfromm ist) oder „My Bonny is over the Ocean“. Demnächst wird „Amazing Grace“ und „Morning has broken“ das Programm erweitern. Das Kursprogramm ist ansonsten praktisch-pragmatisch auf das Erlernen von Grundkenntnissen der englischen Sprache ausgerichtet, wobei ich keine Möglichkeit auslasse, nicht nur allgemeinbildende Zusatzinformationen, sondern immer wieder auch christliche Inhalte einzubauen, wo es unaufdringlich passt. Dass man sich auf Englisch nicht „Gesundheit“ wünscht, sondern „God bless you“ sagt, lässt sich im Winter beim Niesen eines Kursteilnehmers zwanglos einbauen, um nur ein Beispiel zu nennen. Oder welchen Hintergrund „Halloween“ hat und warum auch wir Lutheraner einen Gedenktag der Heiligen kennen, sind weitere tatsächlich vorgekommene Fälle der Verknüpfung.

Das Unterrichtsmaterial stelle ich selbst her, wobei ich teilweise Vorlagen aus einem Englischkurs-Buch verwende.


Was sind die Ziele dieses „Projektes“?
Zunächst sind mir folgende Gesichtspunkte wichtig: Ich bin der Überzeugung, dass unter den Bedingungen einer sehr kleinen, extrem finanz- und personalschwachen Gemeinde mit dürftigen Räumlichkeiten großangelegte „Missionsprojekte“ nicht durchführbar sind. Aber auch prinzipiell setze ich nicht auf Konzepte und Strategien mit dem vorgefassten Ziel mess- und zählbarer Ergebnisse. Das widerspricht dem Glauben an die Alleinwirksamkeit des Wortes Gottes und des Heiligen Geistes, der sich an dieses Wort bindet. Projektierungen unter der Prämisse, dass innerhalb eines bestimmten Zeitraumes so und so viele Menschen erreicht und am besten auch noch bekehrt werden müssen, lassen sich nach meinem Dafürhalten mit dem „ubi et quando visum est Deo“ [Zitat aus Artikel 5 des Augsburger Bekenntnisses, im Zusammenhang: „Damit wir zu diesem Glauben kommen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, das Evangelium und die Sakramente gegeben. Durch diese Mittel gibt Gott den Heiligen Geist, der bei denen, die das Evangelium hören, den Glauben schafft, wo und wann er will.“] nicht in Einklang bringen, verursachen unevangelisch-gesetzlichen und letztlich nur lähmenden Druck. Das Angebot des kostenlosen Englischlernens ist zunächst also (fast) zweckfrei.

Von Bedeutung ist es aber, persönliche Kontakte zu Menschen zu knüpfen, Möglichkeiten zu schaffen, dass Menschen die Schwellen zu kirchlichen Räumen überschreiten und dabei erleben, dass die Kirche und ihre Gläubigen „ganz normale Menschen“ sind. Das soll sich auch herumsprechen und ein Klima des Vertrauens und der Normalität schaffen. Gott weiß und wird es lenken und steuern, wann und unter welchen Umständen die so entstandenen Kontakte einmal von auch geistlicher Bedeutung sein werden.

Mein Ziel ist es nicht, aus der Heilig-Geist-Gemeinde eine Alternativ-Volkshochschule nach dem westlichen Muster der „Pizza-Gemeinden“ (schön bunt, aber flach) zu machen, deren Gemeindeleben vom Yoga-Kurs bis zur ökumenischen Kochgruppe reicht. Solange ich in Westdeutschland war, wäre mir sicher der Gedanke eines Englisch-Kurses nicht gekommen. Im Osten ist die Situation eine andere. In Görlitz sind beispielsweise nur 20 % der Menschen getauft. Die Mehrheit hat kaum oder gar keinen Kontakt zur Kirche und kann sich auch darunter nichts vorstellen. Hier sehe ich daher schon eine Chance darin, zunächst einmal die Türen zu öffnen und zu Angeboten einzuladen, die anzunehmen keine große Überwindung von Schwellenängsten erfordert. Von Charles de Foucauld stammt der Satz, man solle den Menschen nicht Antworten auf Fragen geben, die sie gar nicht haben und der Kirche auch nicht stellen, sondern so leben, dass sie irgendwann einmal fragen, warum wir so leben. „Warum kostet der Kurs nichts? Warum investiere ich meine Zeit? Wieso ist nicht festgelegt, dass der Kurs nach zehn oder zwanzig Stunden beendet ist, sondern erst, wenn alle ein bisschen Englisch sprechen und der Meinung sind, es reiche jetzt? Warum wird eine Lektion solange bearbeitet, bis auch der Schwächste Kursteilnehmerden Anschluss gefunden hat? Wieso gehen vier der Teilnehmer eigentlich sonntags in den Gottesdienst und was haben die eigentlich davon?...“

In diese Richtung zielt unser Angebot. Der Rest ist Vertrauen.